Das Genre Hörspiel hat immer noch ein riesiges Imageproblem. Vielen Leuten ist nicht einmal der Unterschied zwischen Hörspiel und Hörbuch klar. Während Hörbücher fester Bestandteil unserer Medienwelt sind, fristet das Hörspiel in der Breite immer noch ein Nischendasein. Klar, jeder kennt die Drei Fragezeichen, dazu noch einige Kinderhörspiel-Klassiker, der Rest wird gern als unhörbare Klangexperimente abgetan. Zu Unrecht. Es gibt wirklich herausragende Einzelhörspiele und Serien dort draußen, aber, man muss sie suchen. Noch. Denn meiner Meinung nach stehen wir am Anfang eines enormen auditiven Storytelling Booms.
Der Wunsch nach modern erzählten Audio Inhalten wächst. Stuart Kummer und ich arbeiten seit mehr als 10 Jahren daran, Hörspielserien so zu schreiben und zu produzieren wie moderne audiovisuelle Serien. Die Bewertungen und Kritiken unserer WDR-Formate THE CRUISE und CAIMAN CLUB zeigen, dass wir dabei wohl mehr Dinge richtig als falsch machen. Und wir sind nicht die Einzigen.
Audible entwickelt diverse Originals im Jahr, unter denen sich echte Highlights wie „Die juten Sitten“ von Anna Basener finden. Ivar Leon Menger hat mit „Monster 1983“ einen toll erzählten Mystery-Hörspiel-Serien-Hit gelandet. Die Lauscherlounge hat mit „Tinnitus“ von Max Benyo ein bewegendes On-Location Hörspiel auf den Markt gebracht.
Überall kommt Bewegung in den Markt. Auch die Major Labels der Musikbranche lassen ihre Hörspielsektionen spannende Großprojekte umsetzen. „Die weiße Lilie“ vom UNIVERSAL Hörspiellabel Folgenreich und „VIDAN“ vom altehrwürdige SONY-Label EUROPA, um nur zwei zu nennen. ProSiebenSat.1 hat mit FYEO eine eigene Audio-on-demand-Plattform ins Leben gerufen, die sich auf die Fahnen schreibt, Audio Blockbuster produzieren zu wollen.
Diese Entwicklung bleibt auch großen Marken nicht verborgen. Lufthansa Group hat mit „Backup“ einen 6-teiligen Near-Future-Thriller herausgebracht, der sich mit dem Thema künstliche Intelligenz befasst. Auch BMW setzt mit dem Podcast „Hypnopolis“ auf einen Science-Fiction-Spannungsstoff. In beiden Formaten halten sich die Marken auf angenehme Weise zurück. Was zählt ist die Geschichte, die jeweils medial geschickt eingebettet ist in einen spannenden Diskurs über das Leben in der nahen Zukunft – das von diesen Marken selbstverständlich mitgeprägt wird.
Blickt man in die USA, sieht man, wohin die Audio Content Entwicklung gehen kann. Fiktionale Podcasts haben hier z.B. unter Star-Schauspielern einen viel höheren Stellenwert. So konnten Endeavor Content & QCODE Oscar-Gewinner Rami Malek („Bohemian Rhapsody“, „Mr. Robot“ ) für ihre apokalyptische Podcast-Thriller-Serie „Blackout“ gewinnen. Mit Gimlet Media (seit 2019 Spotify-Tochter) gibt es in den Staaten ein echtes Schwergewicht für narrative Podcasts am Markt. Gimlet hat mit seinem Thriller-Format „Homecoming“ derart für Furore gesorgt, dass es von Amazon Prime als Serie mit Julia Roberts in der Hauptrolle verfilmt wurde. Gleiches ist der Los Angeles Times mit ihrem True Crime Podcast „Dirty John“ gelungen, der von Netflix als Serie mit Eric Bana in der Hauptrolle adaptiert wurde. Normalerweise werden O-Ton Hörspiele von erfolgreichen Bewegtbildformaten gemacht, der umgekehrte Weg ist aber offensichtlich auch möglich.